Der Sohn des späteren Klägers befuhr mit dessen Seat die Autobahn auf der linken Spur mit ca. 150 km/h. Kurz bevor er den rechts von ihm fahrenden Dacia überholen wollte, scherte dieser plötzlich, ohne sichtbaren Grund, auf seine Spur aus. Der Seat-Fahrer konnte nicht mehr rechtzeitig abbremsen und fuhr auf den Dacia auf.
Der Vater des Seat-Fahrers verlangte den ihm an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden von dem Dacia Fahrer und dessen Haftpflichtversicherer ersetzt. Das Landgericht Essen (LG Essen, 28.04.2017 - 19 O 252/15) sprach ihm Schadenersatz in voller Höhe zu. Es ging davon aus, dass der Beklagte vor seinem Fahrspurwechsel nicht dafür Sorge getragen habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist. Zudem habe er nicht rechtzeitig und deutlich durch Nutzung des Blinkers angezeigt, den Fahrstreifen zu wechseln.
Im Hinblick auf sein erhebliches Verschulden führe der Umstand, dass der Sohn des Klägers den Unfall durch Überschreiten der Richtgeschwindigkeit mitverschuldet habe, zu keiner Mithaftung. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Diese gehen davon aus, der Sohn des Klägers habe durch Überschreiten der Richtgeschwindigkeit die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges erhöht, was eine Mithaftung von 25 % begründe.
Mit Beschluss vom 06.02.2018 wies das OLG Hamm als zuständiges Berufungsgericht die Berufung der Beklagten als unbegründet zurück. Das Gericht sah es als erwiesen, dass der beklagte Dacia-Fahrer sein Fahrzeug unachtsam und ohne auf den rückwärtigen Verkehr zu achten auf die linke Spur gelenkt hat. Demgegenüber bewertete das Gericht einen Verkehrsverstoß des überholenden Fahrers als nicht nachgewiesen. Vielmehr habe dieser weder damit rechnen können noch müssen, dass der Dacia ohne ersichtlichen Grund die Spur wechselt. Bei freier Bahn und fehlender Geschwindigkeitsbegrenzung war es ihm nicht untersagt, 150 km/h zu fahren. Die Überschreitung der empfohlenen Richtgeschwindigkeit von 20 km/h erachtete das Gericht als maßvoll, mithin unschädlich.
Die Entscheidung des OLG Hamm erscheint logisch. Bei der empfohlenen Richtgeschwindigkeit von 130 km/h handelt es sich bereits der Begrifflichkeit nach um eine Empfehlung und nicht um ein Gebot. Wäre dies anders zu verstehen, wäre die Aufhebung von Geschwindigkeitsbegrenzungen sinnentleert. Des Weiteren zeigt das Urteil, wie auch viele andere, dass es sich bei der Annahme "wer auffährt hat immer Schuld" um eine Fehlvorstellung handelt.
Finanzpartner Grau
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